Tagungsbericht 2003

"Aufbrüche und Umbrüche. Evangelische Kirche in den sechziger Jahren" lautete das Thema der Bietigheimer Tagung des Vereins für Württembergische Kirchengeschichte am 24. und 25. Oktober 2003. Sie ließ bald deutlich werden, welches die Themen der die Kirche prägenden Jahre 1968 und 1969 gewesen sind: Ökumenische Fragen und das Theologinnengesetz von 1968, die gescheiterte Reform der EKD und die Gründung der Aktionsgemeinschaft Kritische Kirche, die Wehrdienstverweigerer, kirchliche Kontakte zwischen Thüringen und Württemberg wie auch die Umbrüche in der Religionspädagogik.
Fraglos stellten die beiden Podiumsgespräche den Höhepunkt der Tagung dar. In einer Gratwanderung zwischen historischer Reflexion und persönlich gefärbter Erinnerung zeichneten der Krankenhausseelsorger Wolfgang von Wartenberg, der einstige Stiftsstudent Dr. Rolf Hille – heute Rektor des Albrecht-Bengel-Hauses – und schließlich der frühere Tübinger Studentenpfarrer Dr. Theophil Steudle ihre Eindrücke der bewegten 68er Jahre in der Universitätsstadt Tübingen. Die Einschätzungen reichten von einer "echten Kulturrevolution an der Bevölkerung vorbei" bis zur wachsenden Beschäftigung mit Psychoanalyse und Therapieformen in der Seelsorge. Kritik erfuhr die Vermischung von Theologie und Politik, die Verunsicherung von Studierenden und Professoren durch Go-Ins und Sit-Ins. Positiv bewertet wurde der Aufbruch vieler Theologen mit der Aufnahme eines Zweitstudiums und dauerndem Engagement innerhalb und außerhalb der Kirche für Fragen der Ökologie und der Dritten Welt.
Im zweiten Podium ging es schwerpunktmäßig um den Stuttgarter Kirchentag von 1969. Werner Gebert, Dr. Sören Widmann und Dr. Theophil Steudle wie auch etliche Zeitzeugen im Publikum ließen die aufregende Atmosphäre dieses besonderen Kirchentags nochmals präsent werden. Dabei wurde auch deutlich, dass nicht wenige der studentischen Gestalter des Kirchentags ihre Einsichten aus Aufenthalten in den USA zur Geltung brachten und eine praxisbezogene Theologie forderten. Politische Nachtgebete und die Diskussion mit hochrangigen Vertretern aus Politik und Wirtschaft befestigte die Politisierung der damaligen Studentengeneration auf lange Zeit. Die Tagung hat gezeigt, dass die Jahre nach 1968 tief greifende Veränderungen für Kirche und Gesellschaft bedeuteten. Sie zeigte auch, dass es nu an der Zeit ist, die einschlägigen Dokumente und Erinnerungen der Zeitzeugen zu sammeln und zu analysieren. Ein erster Anfang wird mit der Publikation der Beiträge der Tagung im kommenden Jahr gemacht werden.

 

Rainer Lächele